Storys




Böse Buben

"Böse Buben" ist eine Kurzgeschichte, die in der Welt des Romans "Der Schatten des Phönix" ein paar Jahrzehnte vor den darin geschilderten Ereignissen spielt und wurde als Bonusmaterial für eine zweite Auflage konzipiert. Wer sich beim Lesen des Buches gefragt hat, woher der Herr des Feuers seine ganz speziellen Zigarren bezieht, wird hier eine kuriose Antwort finden...

Das opulente Grabmal machte schon etwas her: Zwei erhabene, voneinander abgewandte Engel aus Alabaster säumten den Stein von rechts und links, die Flügel gen Himmel ausgebreitet, den Blick in weite Ferne gerichtet. Ein steinerner Satyr mit pelzigen Bocksfüßen, prächtigem Gehörn und gewohnheitsmäßig lüsterner Miene saß obenauf und drei glänzende Flaschen Champagner, eine davon geöffnet, waren auf dem marmornen Deckel der Begräbnisstätte platziert. Der Grabstein selbst enthielt die Inschrift:

Hier ruhet endlich Seine Magnifizenz Dr. Umbertus Driebelmüller,
von 1723 bis 1968 Direktor der Vilenzer Stiftung des kosmischen Ordens,
und mögen ihm Jahrhunderte des himmlischen Friedens gewährt werden.

Um die frische Grabstätte standen im Halbkreis drei offensichtlich gut gelaunte Männer, die Champagnergläser erhoben, und prosteten einander zu.

»Meine lieben Kollegen!«, sprach der erste von Ihnen, »Erheben wir unser Glas auf unseren teuren Freund und neuen Direktor, Krähe Rataharu, möge uns deine Weisheit mindestens so lange heimsuchen wie die des guten, alten (und endlich ruhenden) Meisters Umbertus.«

Nachdem alle drei ihre Gläser kurz erhoben und dann einen angemessenen Schluck daraus getan hatten, fuhr der eben Angesprochene fort: »Herzlichsten Dank, Ignatius, mein Freund. Meinen Toast bringe ich nun auf Prometheus aus, der sich endlich von seinem Kaukasischen Fels gelöst hat und uns nun in der Gestalt Bruder Michaels begleitet. Ich gratuliere dir zu deiner vollständigen Wiedererinnerung!«

Die Wiedererinnerung – das Ritual, mit dessen Hilfe ein Agent der magischen Stiftung die Verbindung zu den Erinnerungen seiner früheren Inkarnationen wiederherstellte – war nicht ganz ungefährlich, und gelegentlich ging dabei der Geist des Kandidaten sprichwörtlich in die Irre oder trug zumindest die eine oder andere Macke davon. Daher musterten Rataharu und Ignatius den Freund, der bislang keine verdächtigen Zeichen eventueller »Nebenwirkungen« aufwies, mit nicht nur äußerst wohlwollenden, sondern auch besonders aufmerksamen Blicken.

Michael, beziehungsweise Prometheus, schien sich daran nicht zu stören. Er präsentierte den anderen ein breites Lächeln und antwortete: »Ach, der ›Fels‹ war gar nicht so unangenehm, da ist diese Welt hier schon etwas steiniger. Aber ja, es tut gut, wieder der Alte zu sein.« – Michael »Prometheus« Emmanuels Fels war in Wahrheit ein idyllisches Anwesen im Jenseits, das er für die Zeit zwischen seinen Leben nutzte, der Kaukasus nur eine Anspielung auf den gewählten Ordensnamen.

Nach dem erneuten dreifachen Schluck aus dem Champagnerglas griff Michael in seine linke Hosentasche und kramte ein bronzenes Amulett an einer langen Kette mit verhältnismäßig schwer anmutenden Eisengliedern daraus hervor. Es zeigte die antike Darstellung eines gefesselten Mannes und eines heranfliegenden Adlers. »Hier bitte, der letzte Fokus der Adepten, für das Archiv. Danach sollte keiner mehr im Umlauf sein«, sagte er und reichte das Amulett an den neuen Direktor weiter.

»Nicht der letzte, Prometheus, du weißt ja …« erwiderte Rataharu, der den Gegenstand schnell in der eigenen Tasche verschwinden ließ. Die beiden anderen verstanden die Anspielung auf den Fokus des legendären Phönix, der seit dem Ableben jenes ebenso fähigen wie unheilvollen Agenten im Jahr 1839 als verschollen galt. »Aber ja, in Zukunft werden wir diese Artefakte nicht mehr benötigen. Das neue Ritual ist beinahe fertig, und die Verträge mit unseren Partnern im Akasha-Archiv warten nur noch auf ihre Unterzeichnung. Alles, was fehlt, ist der Sanktus des Ordens.« »Alles, was fehlt?«, warf Ignatius ein. »Soweit ich mich erinnere, gibt es da immer noch diese kleine Unstimmigkeit wegen … nun ja, ihr wisst schon. Verzeiht meine Skepsis, aber was ist nun anders als in den Jahrhunderten bisher?« »Nichts«, antwortete Rataharu mit einem seltsam strahlenden Lächeln auf den Lippen, »außer, dass wir uns diesmal noch besser auf seine Wiederkehr vorbereiten können. Wir haben etwa ein halbes Jahrhundert Zeit.«

Ω

Den »Tanzenden Zigeuner« gab es schon seit circa 120 Jahren. Ursprünglich ein Kohlenkeller, später ein Vereinslokal für einen mittlerweile aufgelassenen, weil von der VgMB (der Vilenzer geheimen Magie-Behörde) verbotenen Beschwörerzirkel, wurde die traditionell düstere Räumlichkeit in der Mitte des 19. Jahrhunderts von der Familie Moorzwack erworben und seitdem in Form einer Café-Bar geführt. Anfängliche kulturelle Ambitionen als biedere Gaststätte waren schnell überwunden und im Laufe der Jahrzehnte hatte sich die tief gelegene Spelunke mehr und mehr zu einem Treffpunkt seltsamer Gestalten, gesellschaftlicher Taugenichtse und generell Unzufriedener entwickelt. Drei spezielle Exemplare besagter Unzufriedener hatten sich heute an einem abseitigen Tisch in einer der für derlei Zwecke vorzüglich geeigneten Nischen zusammengefunden.

»Wir verstehen uns also«, sprach der größte von ihnen unter seiner Kapuze, und musste dabei nicht fürchten, von jemand anderem außer seinen beiden Gegenüber verstanden zu werden. Dafür sorgten sowohl die Entlegenheit der Nische als auch die Töne des leicht verstimmten Wandklaviers, die ein mittelmäßig talentierter Pianist demselben entlockte. »Wir haben nie darüber gesprochen, waren nie hier und kennen einander eigentlich kaum. Wir haben nichts miteinander zu tun.«

Die beiden anderen nickten heftig. Nicht Freundschaft noch gemeinsame Ideale einten die Drei, sondern lediglich der einhellige Hass auf jenen, der ihnen – vollkommen zu Unrecht – vorgezogen worden war.

»Rataharu muss sterben!«, zischte der Kleinste und ließ die Gewalt seiner schmächtigen Faust auf den unschuldigen Tisch herniederfahren. »Was für ein Hohn! Ausgerechnet die Krähe! Das ist ab-so-lut untolerierbar!«

»Leise, Horatio«, flüsterte der Mittlere zurück. »Und nenne schon gar nicht seinen Namen!« Hastig blickte er um sich, doch weder schenkte ihnen einer der anderen Gäste irgendein Zeichen der Aufmerksamkeit noch fuhr ein Blitz durch das hochgelegene Fenster in ihre Runde.

»Sei unbesorgt, Purgatorium«, beschwichtigte ihn der Größte, der auf den Namen Lanista hörte. »Dieser kleine Freund hier sorgt dafür, dass weder die vermaledeite Krähe noch irgendeine andere Pfeife aus dem Direktorium uns belauscht.« Damit stellte er einen schmucklosen, schwarzen Würfel in die Mitte des Tisches. Horatio und Purgatorium rümpften unter ihren Kapuzen die Nase – auf eine Weise, die niemand außer ihnen zu empfinden imstande war, stank der Würfel nach Pech und Schwefel. Aber außer ihnen waren auch keine weiteren Magier im Tanzenden Zigeuner zugegen – oder gar irgendjemand, der überhaupt an Magie glaubte. Das taten die Vilenzer generell nicht, bis auf die Agenten der magischen Stiftung, deren Korrespondenten im Stadtrat und den einen oder anderen wilden Zauberer im Untergrund.

»Da wir uns nun einig sind, komme ich gleich zur Sache.«, fuhr Lanista fort, »Wir haben die hehre Pflicht, die, ich meine, unsere Stiftung von Rataharu und seinem unfähigen Klüngel zu befreien und wieder Zucht und Ordnung einkehren zu lassen. Wessen Schuld ist es denn, dass uns der Zugang zu höherer Magie nun schon seit über tausend Jahren verwehrt wird? Wer hat all die Jahrhunderte nichts dagegen unternommen? Wer betet stattdessen den verfluchten Phönix an und leckt den Engeln die Heiligenscheine blank, statt sich nach neuen und willigeren Verbündeten umzusehen?«

»Rataharu!«, zischten Purgatorium und Horatio unisono und nun etwas lauter.

»Und wen haben die vertrottelten Graubärte, die sich unser Direktorium schimpfen, trotz allem erneut zum Oberhaupt auserwählt, obwohl er noch nicht einmal ein halbes Jahrhundert wieder auf Erden wandelt?«

Ein weiteres Mal fiel der verhasste Name, beinahe einem Fluche gleich.

»Ich hätte es werden sollen!«, ereiferte sich Lanista, und fügte eilig hinzu: »Oder du, Purgatorium, oder du, Horatio. Jeder von uns wäre besser geeignet gewesen, die Vilenzer Stiftung wieder zu neuer Glorie zu führen. Doch jetzt hat die Krähe alle verbliebene Macht inne, und nur mit dieser ließe sich unser Blatt zum Besseren wenden!«, rief er nun sogar aus voller Kehle aus, ohne dass sich der Wirt oder die anderen Gäste sonderlich darum kümmerten.

»Entreißen wir sie ihm!«, forderte Horatio laut. »Vernichten wir ihn!«, donnerte Purgatorium.

»Genau«, sprach Lanista mit einem grimmigen, befriedigten Lächeln.

»Wie, was jetzt?«, fragte Horatio etwas weniger sicher. »Entreißen oder vernichten?« – »Beides«, erwiderte Lanista beinahe singend, so sehr troff seine Stimme vor Genugtuung. »Ich habe einen Plan.«

Ω

Das Archiv für okkulte Gegenstände und Essenzen der Vilenzer Ordensstiftung war ein verständlicherweise streng bewachter Ort und befand sich – genau genommen – gar nicht in der uns vertrauten Welt. Vielmehr handelte es sich dabei um mehrere voneinander getrennte Gebilde aus Raum und Zeit, die moderne Theoretiker auch künstlich geschaffene Parallelwelten genannt hätten und die nur mit der richtigen Kennung zugänglich waren. Die »richtige Kennung« bestand hierbei aus einer Kombination aus speziellen Gedankenformen und den psychischen Abdrucken zugelassener Personen, oder einfacher gesagt, wer den jeweiligen Lagerort kannte und zudem zum Kreis der Berechtigten gehörte, hatte Zugriff.

Dazu zählten lediglich das hohe Direktorium und eine illustre Auswahl höhergradiger Agenten. Bis zu jenem Tag galt das System als narrensicher.

An jenem Tag nämlich begab sich der definitiv unbefugte Anwärter zweiten Grades, Lanista, in die Garderobe für Spezialeinsätze im dritten Untergeschoß des Stiftungshauptgebäudes, um nach dem Spind mit der Nummer Q31 zu suchen. Von der Existenz dieses Archivs wusste er von einem nicht näher zu nennenden Individuum, aus dessen Besitz auch der kleine schwarze Würfel stammte, der bei dem jüngsten Treffen der Verschwörer zum Einsatz gekommen war. Genau diesen presste er nun mit einer Seite gegen die Tür des eben gefundenen Spindes.

Finsterer Rauch breitete sich sogleich von den übrigen fünf Flächen des Würfels aus und umfloss die Spindtür wie ein dichter, unheiliger Bodennebel, um dann an deren Kanten vorbei ins Spindgehäuse zu kriechen. Daraufhin klickte es ein paar Mal im Inneren des Spindes, der wenige Sekunden später seinen Inhalt preisgab. Inmitten des Rauches, der nun den Boden des Behältnisses einnahm, glommen böse zwei rote Funken, dem Glühen von Kohlestückchen nicht unähnlich.

Ω

Wer die Emmanuels nicht näher kannte, hätte die morgendliche Szene für eine höchst alltägliche Vilenzer Idylle gehalten: Michael »Prometheus« Emmanuel und seine Gemahlin Samantha saßen in ihren Ohrensesseln im Wintergarten ihrer Villa beim Frühstück: er bis zum rotbraunen Haaransatz in das örtliche Tageblatt vertieft, sie scheinbar unausgeschlafen, noch im Schlafrock samt dicken Pantoffeln und sich mühsam eine Scheibe Striezel mit Butter und Honig schmierend. Draußen kroch der Frühnebel, der das nahe am Walde gelegene Grundstück zu dieser Jahreszeit heimzusuchen pflegte, über den Boden und ein paar Sonnenstrahlen kämpften sich durch den morgendlichen Dunst.

»Alltäglich« war die Szene jedoch nur für diese beiden speziellen Leute. So las Michael in seinem Tageblatt nicht etwa die Nachrichten, auch stammte das Papier nicht vom gegenwärtigen Tage oder gar Jahr. Vielmehr fand sich in seinen Blättern – je nach Wunsch des Lesers – jedes beliebige Buch aus der Emmanuelschen Privatbibliothek, aus deren Bestand er im Augenblick gerade »Vom Umgang mit elementaren Verstimmungen« konsultierte. Ebenso wenig war Samantha Emmanuel bloß unausgeschlafen; vielmehr litt sie unter dem kaltfeuchten Vilenzer Morgenwetter, das ihrer verborgenen, feurigen Natur regelmäßig zusetzte. Schließlich war sie kein gewöhnlicher – oder überhaupt ein – Mensch, sondern ein in menschliche Form geprägtes Elementarwesen aus dem Reich des Feuers. Morgenmantel und Pantoffeln dienten auch nicht den üblichen Zwecken, sondern zum zusätzlichen Schutz für das ohnehin bereits mit speziellen Zaubereien imprägnierte Haus, dass es in einem Moment der Unachtsamkeit der Salamanderfrau nicht doch Feuer finge.

Nach einer Weile legte Michael die verhexte Zeitung auf den Tisch und sprach zu seiner Gemahlin: »Du, Schatz, ich glaube, ich habe eben einen Weg gefunden.«

»Wirklich?« Mit einem auflodernden Feuer des Interesses in den Augen (und am Schopf) hob Samantha den Kopf. »Einen Weg um ihren Fluch herum? Babys ohne … ohne Risiko?«

Mehr als alles andere wünschte sich Michaels Gemahlin ein Kind, dem sie auch Mutter sein konnte, dessen Geburt sie also überleben würde. Doch genau dies verhinderte eine auf Prometheus lastende Verwünschung, die über etliche Inkarnationen hinweg jeder Gattin das Leben kostete, wenn sie es wagte, ihm einen Nachkommen zu gebären.

»Nein, leider, ich meinte eher das Problem mit den …«

Abrupt begann Samanthas Striezelstück, sich selbst zu toasten: Brutzelnd schmolz und verdampfte die Butter darauf, und der darüber verteilte Honig schrumpelte zu einem schwarzen Klumpen zusammen. Das war aber nicht bloß ihrer Enttäuschung geschuldet, sondern vielmehr dem jähen Schrecken, der sie durchfahren war, als Michael unvermittelt vor ihren Augen und unter rundum erschallenden barbarischen Beschwörungsformeln verschwunden war.

Ω

Eben noch war Prometheus im Begriff, seiner Gattin zu erzählen, was er in seiner Bibliothek über die Gemütswallungen der Feuerwesen herausgefunden hatte, da ihn selbst eine höchst unangenehme Wallung nicht bloß seelischer, sondern auch durchaus körperlich spürbarer Natur umfing. Mitten im Satz riss es ihn aus seinem Sessel, ja seinem Heim und fort von Samantha zunächst in einen grauenhaften, nichteuklidischen und daher für den menschlichen Verstand gänzlich unbeschreiblichen Raum. Aus diesem wurde er aber kurz darauf in ein düsteres, übelriechendes und nur mit Kerzenschein beleuchtetes Gewölbe gezogen.

Was den Geruch betraf – den kannte Prometheus gut. Das ominöse Gewölbe musste irgendwie zum Tanzenden Zigeuner gehören – diese Mischung aus Tabakrauch, fauligem Alkohol und Schlimmerem kannte jeder, der dort des Öfteren zu tun hatte. Was das Kerzenlicht anging, hatte sich jemand offenbar alle unredliche Mühe gemacht, mit einer Unzahl vielfarbiger Teelichter einen eindrucksvollen Beschwörungskreis samt Dreieck der Kunst auf dem Boden auszulegen. In der Mitte des Kreises standen rund um ein kleines, schwarzes und rauchendes Ding drei zwielichtige Gestalten, von denen ihm zumindest zwei der Form nach vage bekannt vorkamen, allesamt in düstere, schlichte Kutten gehüllt und die Arme zur Beschwörung erhoben. Und im Dreieck der Kunst, das dazu diente, Geister sowohl herbeizurufen als auch darin festzuhalten, befand sich er, Prometheus, in höchst amorpher, feuriger Gestalt, einer wabernden Wolke aus Ruß und Flammen gleich. Und noch etwas anderes erblickte er zu seinen Füßen im Dreieck und er fluchte leise, als er es erkannte: seinen alten Fokus der Adepten.

»Wir beschwören dich, Barbecue, Herr des Feuers, Diener der Vorsehung, mit der Kraft des magischen Lamens! Höre und gehorche unserem vereinten Willen!«, proklamierte die größte der drei Gestalten.

»Wir beschwören dich, Barbecue, Herr des Feuers, Diener der Zerstörung, mit dem Kubus der Finsternis! Höre und gehorche unserem vereinten Willen!«, zischte die kleinste.

»Wir beschwören dich, Barbecue, Herr des Feuers, Diener der Schöpfung, mit den Lichtern der Mannigfaltigkeit! Höre und gehorche unserem vereinten Willen!«, krächzte die mittlere und klatschte die Hände zusammen.

Prometheus staunte nicht wenig. Wie war es den drei Wichten gelungen, an seinen Fokus zu gelangen? Sollte der denn nicht sicher im Archiv der Stiftung verwahrt sein? Und … Barbecue? Hatten sie tatsächlich Barbecue beschwören wollen – und ihn, Prometheus, dafür erhalten? Das sah dem alten Feuerteufel ähnlich; offenbar hatte er die Lücke, die sich durch den personalisierten Fokus ergeben hatte, genutzt und ihnen statt seiner selbst dessen ehemaligen Besitzer untergejubelt. Und ihm dabei auch zu einer – hoffentlich vorübergehenden – passenden Gestalt verholfen. Na, dann will ich vorerst mitspielen, dachte Prometheus. Mal sehen, worauf die Gauner aus sind.

»Wir beschwören dich …«, begann der erste wieder, doch Prometheus/Barbecue winkte ab.

»Schon gut, schon gut, da bin ich ja, ihr habt mich beschworen, ihr unwürdigen Würmer. Was ist es, wofür ihr meinen Zorn riskiert?«, donnerte er, so gut er konnte, im Tonfall des Feuerfürsten.

»Schweig und benimm dich, Geist!«, donnerte Lanista, dessen Stimme Prometheus nun erkannte, zurück. »Du bist der von uns beschworene Diener. Nimm dies zum Zeichen der Züchtigung!«

Daraufhin winkte er dem Verschwörer zu seiner Linken, der eilig einen bereitstehenden Kübel abgestanden Wassers erhob und in Richtung des vermeintlichen Feuerfürsten schüttete. Dabei wurden zwar auch etliche der Kerzen, die das Dreieck bildeten, gelöscht, der größte Teil des Inhaltes klatschte jedoch gegen Prometheus. Der empfand dort, wo die Flüssigkeit auftraf, eine eisige Kälte, als hätte es sich dabei um das Schmelzwasser eines übergroßen Sektkübels gehandelt – mehr aber auch nicht; für den echten Barbecue wäre dies wohl eine wahre Tortur gewesen. Dennoch spielte er seine Rolle konsequent weiter und schrie und beutelte sich, als ob es ihm die Haut vom Leibe fröre.

»Ich – ich werde gehorchen«, knurrte er schließlich in Barbecues tiefstem Bass. »Was gebietet ihr mir?«

»Du wirst uns nun Mittel und Wege nennen, wie wir unseren Feind vernichten können, und uns dafür deine Diener zur Seite stellen.«

»Und … wer ist es, den ihr euren Feind nennt?«

Ω

Am darauffolgenden Dienstagabend zur Stunde des Feuers betrat Rataharu, frisch gekürter Leiter der Vilenzer Ordensstiftung, das Haus der Familie Emmanuel, um eine spontan vereinbarte Besprechung mit seinem Agenten Prometheus abzuhalten. Die Begrüßung durch die Dame des Hauses fiel diesmal aus, da Samantha einer offenbar ebenso spontanen Einladung ihres »Vaters« (Schöpfer traf es besser) Barbecue gefolgt war und nun in dessen Reich weilte. Daher begab sich Rataharu, ohne zu trödeln, gleich in den ersten Stock in den alten Tempelraum, nur, um diesen ebenso entvölkert wie den Rest des Hauses vorzufinden; von Prometheus fehlte jede Spur.

»Nun gut«, sagte er laut in die Leere des Raumes, »dann gehe ich wohl wieder«, und wandte sich zur Tür um. Doch nach nur einem Schritt in deren Richtung stieß kurz vor der Schwelle jäh eine Säule schwarzen Rauchs vom Boden auf, und eine verhüllte Gestalt mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze manifestierte sich inmitten der Schwaden.

»Bis hier und nicht weiter, nichtswürdige Krähe! Gib mir dein Siegel, dann lasse ich dich am Leben!«, stieß die Gestalt zwischen gefletschten Zähnen hervor.

»Und wie willst du es mir nehmen, Horatio?«, entgegnete Rataharu schmunzelnd.

Dass ihn der Andere gleich erkannt und mit Namen angesprochen hatte, bekümmerte den Verschwörer wenig; immerhin hatte er den Herrn des Feuers auf seiner Seite. Er wäre sogar enttäuscht gewesen, wenn es ihnen die Krähe zu leicht gemacht hätte. Daher lüftete er seine Kapuze, um dem Verhassten mit einem höhnischen Grinsen zu verkünden: »Durch den Tod in deinem Atem!« Darauf schnippte er mit den Fingern, und ein Teil des ihn umfließenden Rauches wanderte hinüber zu Rataharu und legte sich um dessen Kehle.

Japsend und mit geweiteten Augen ging der ehrwürdige Stiftungsleiter in die Knie, griff sich mit beiden Händen an den Hals, um sich das Band, das sich scheinbar darum gelegt hatte, vom Leibe zu reißen. Aber ach – da war ja nichts außer Rauch, den er nicht zu greifen bekam. Rataharu würgte und hustete und spuckte, sehr zur Belustigung seines Angreifers (der dann doch einen vorsichtigen Schritt beiseite tat), eine Lohe schwarzgrünen Feuers. Benommen rappelte er sich auf und floh zur Fensterseite des Raumes.

Horatio machte keine Anstalten, dem Flüchtigen zu folgen – das brauchte er auch nicht, denn unmittelbar vor dem Fenster, aus dem sich der Stiftungsleiter offenbar werfen wollte, schoss eine zweite Rauchsäule hoch. Wieder versperrte ihm eine verhüllte Figur den Weg und forderte: »Gib mir Macht und Siegel, dann darfst du leben!«

Rataharu, der Bruder Purgatorium unter seiner Kapuze erkannt hatte, lehnte dieses Angebot ebenfalls ab und wandte sich wiederum zur Flucht, als ihn der beschworene Rauchteufel auch schon anfiel und sich um dessen Brust schlang. Mit einem laut hörbaren Knacken gaben ein paar seiner Rippen nach, und statt Feuer hustete er nun Blut. Dennoch setzte er seine Flucht fort, diesmal in die Mitte des Raumes, wo ihn Lanista, in Rauch und Umhang gehüllt, erwartete. Der fragte erst gar nicht, sondern schleuderte seinen Rauchteufel direkt auf Rataharus Schädel, wo er sich sofort daran machte, durch alle zur Verfügung stehenden Öffnungen in diesen einzudringen. Heraus kam wieder jede Menge Blut, und das Oberhaupt der Vilenzer Stiftung fiel wie ein Sack Kartoffeln in sich zusammen.

»Barbecue, Herr des Feuers, tue deine dir aufgetragene Pflicht und verschlinge den Leib dieses Unwürdigen! Übertrage all seine Macht und Siegel auf mich!«, donnerte Lanista über das Haupt des Gefallenen hinweg. Die beiden anderen Verschwörer blickten überrascht auf. Auf ihn? So war das nicht ausgemacht gewesen …

Und Barbecue erschien, dem Rufe folgend, hüllte den geweihten Raum in ein Meer aus purpurnen Flammen und donnerte seinerseits: »Hier bin ich, du Made. In der Tat nehme ich heute ein paar Unwürdige mit mir. Euch drei, um genau zu sein!«

Eine Schrecksekunde verging auf Seiten der Verschwörer. Dann raffte sich Lanista zusammen und drohte dem Herrn des Feuers: »Wehe, Dämon, du wurdest beschworen! Du weißt, welche Strafe dich erwartet, wenn du dich jetzt widersetzt!«

»Ein Dreck erwartet mich.«, erwiderte Barbecue gelassen. »Und selbst wenn ihr tatsächlich mich und nicht, in eurer grenzenlosen Einfalt, den guten Prometheus beschworen hättet, würde ich genauso wenig darauf geben. Wofür haltet ihr mich denn?«

»P-, Prometheus …?«, stammelte Lanista entsetzt, als ihm ein Licht aufging. Doch es war zu spät. Die geliehenen Rauchteufel stiegen von dem Ermordeten hoch und schlangen sich nun um ihre »Beschwörer« – nur um nach ein paar Sekunden wilden Herumwirbelns mitsamt denselben im Boden zu verschwinden.

Rataharu erhob sich und streckte die Glieder. Es knackte noch einmal, und alle Rippen waren wieder heil und an ihrem Platz. Durch die frei gewordene Tür schritt nun endlich Prometheus in den Raum. Agent, Stiftungsleiter und Elementarfürst sahen einander an.

»Was wird nun mit den dreien?«, fragte Prometheus schließlich.

Ω

Etwa fünfzig Jahre später saßen Barbecue und Prometheus’ Sohn David, der Phönix, bei Tee und Hörnchen in der Welt des Feuers zusammen, und dem Herrn des Elements war es gerade nach einer Zigarre. Das arme Ding, das er aus seinem Behälter entnahm und sich ansteckte, wand sich vergeblich, da half nichts. Als der Phönix nach dem Inhalt der Zigarrenkiste fragte, antwortete Barbecue grimmig lächelnd: »Ein paar böse Buben, freilich. Aber wie du siehst, gibt es hier für alles und jeden die passende Verwendung.«



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